Haben wir wirklich einen Fachkräftemangel in Deutschland? Wenn man die Tagespresse verfolgt und die Politiker reden hört, wird ständig über einen Fachkräftemangel in Deutschland gesprochen. Interessanterweise wird bei der Argumentation zum Fachkräftemangel sehr einseitig argumentiert und viele Fakten werden einfach ignoriert oder unterschlagen. In der Folge geht die Fachkräftemangeldiskussion meistens in eine sehr subjektve Richtung, die jedoch fern der tatsächlichen Wirklichkeit liegt. Was ist die Folge eines jeden Mangels? Es kommt zu einer Preissteigerung, die bei einem extremen Mangel auch sehr stark ansteigen kann. Dies gilt im Wirtschaftsleben genauso wie auf dem Arbeitsmarkt. In der Volkswirtschaftslehre gibt es sogar eine Formel, mit der man diesen Lohnanstieg ausrechnen kann.
Mal angenommen, daß der Fachkräftemangel in Deutschland tatsächlich existiert. Dies würde dazu führen, daß Unternehmer versuchen würden die Mitarbeiter der Konkurrenz mit hohen Prämien und Gehältern abzuwerben. In der Folge käme es zu einer starken Gehaltssteigerung durch die Unternehmen, die eine Abwerbung ihrer besten Mitarbeiter verhindern wollen. Wie sieht aber die Realität in Deutschland aus? Im Laufe der letzten Jahre wurden die meisten Lohnsteigerungen durch die Inflationsrate aufgezehrt, so daß es eigentlich keinen starken Lohnanstieg gab. Zeitgleich wuchsen die prekären Arbeitsverhältnisse in der Form von Praktikas, befristete Arbeitsverhältnisse, Niedriglöhnen auf €400.- Basis und Zeitarbeit massiv an. In diesen Arbeitsverhältnissen befinden sich mittlerweile Millionen an Beschäftigten. Viele Arbeitnehmer benötigen daher neben ihrem Gehalt noch eine finanzielle Unterstützung vom Staat. Man könnte auch sagen, daß der Staat auf diese Weise die Unternehmen subventioniert, die nur einen Lohn bezahlen, der unter dem Existenzminimum liegt. Dies senkt zwar die Arbeitslosenquote, führt aber zukünftig zu Problemen wie Altersarmut und zu einer weiteren Senkung der Geburtenrate. Kritiker werden jetzt einwenden, daß sich in diesen präkären Verhältnissen nur schlecht ausgebildete Arbeitnehmer finden kann. Ein Blick in die öffentlich einsehbare Stellenbörse der Agentur für Arbeit vermittelt jedoch ein ganz anderes Bild. Stellen für Ingenieure, Betriebswirte und andere hochqualifizierte Tätigkeiten werden hier im großen Stil durch Zeitarbeitsfirmen ausgeschrieben. Auf Nachfrage bei diesen Unternehmen wird man verwundert feststellen, daß die hier angebotenen Löhne weit unter den Löhnen liegen, wie sie für diese Berufsgruppen eigentlich üblich sind. Viele Berufsgruppen, die mit dem Fachkräftemangel in Verbindung gebracht werden sind zumeist auch nicht für hohe Löhne bekannt. Genannt werden beispielsweise häufig Tätigkeiten in der Gastronomie, im Baugewerbe oder in der Zeitarbeit.
Daher stellt sich eher die Frage ob wir einen Mangel an günstigen qualifizierten Arbeitskräften haben, da diese Stellen durch eine bessere Bezahlung wesentlich attraktiver für Arbeitnehmer werden würden und dies wiederum den Mangel lindern würde. Auch bei Ingenieuren würde ein Mangel zu einer verstärkten Suche führen. Im stark industriell geprägten Großraum Stuttgart, befanden sich am 17.11.2012 lediglich 168 Stellenausschreibungen und die meisten waren keine Ingenieurstellen oder Akademikertätigkeiten. Eine Woche später waren in der Zeitung sogar noch weniger Stellenanzeigen, so daß die Anzahl der Stellenausschreibungen nicht einmal mehr auf der Titelseite der Stuttgarter Zeitung erwähnt wurden. Beim Fachkräftemangel wird häufig auch darauf hingewiesen, daß Ingenieure für Batterietechnik bei der Automobilindustrie fehlen. Bei neuen Techniken kann man jedoch nicht von einem Fachkräftemangel sprechen. Diese Themengebiete zählen noch zu Forschungsgebieten. Man kann dies auch mit der Entwicklung beim Flugzeugbau vergleichen. Hier wurden die ersten Flugzeuge nicht von Luftfahrtingenieuren entwickelt, sondern von Mechanikern und Tüftlern. Das Berufsbild des Luftfahrtingenieurs entstand jedoch erst später, als die Technik bereits einen gewissen Reifegrad erreicht hatte. Daher sind bei neuen Techniken vor allem die Unternehmen gefordert um ihren Mitarbeitern den nötigen Wissensstand zu vermitteln.
Da dieser angeblich akute Fachkräftemangel ohne einen massiven Lohnanstieg daherkommt, scheinen die Regeln von Angebot und Nachfrage in Deutschland nur bei Konsumgütern und nicht für den Arbeitsmarkt zu gelten. Daher kann man hier auch von dem deutschen Fachkräftemangelparadoxon sprechen, mit einem Mangel ohne Preissteigerung bzw. im europaweiten Vergleich günstigen Löhnen bei gleichzeitig hohen Abgaben. Dieses sinkende Lohnniveau wird mittelfristig auch zu einem neuen Proletariat in Deutschland führen, verbunden mit allen dazugehörenden Problemen.